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Urteil Verwaltungsgericht (SG - B 2005/216)

Zusammenfassung des Urteils B 2005/216: Verwaltungsgericht

H.E. wurde wegen Steuerhinterziehung für die Jahre 1999 bis 2002 schuldig befunden und mit einer Geldstrafe von Fr. 2'600.-- belegt. Die Verjährung für diese Jahre war noch nicht eingetreten. Das Verwaltungsgericht entschied, dass jede Hinterziehungshandlung eine eigene Tat darstellt und die Verjährung für jede Steuerperiode separat betrachtet werden muss. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts wurde vom kantonalen Steueramt angefochten, da sie die Anwendung des milderen Rechts bei der Verjährung in Frage stellten. Letztendlich wurde die Beschwerde abgewiesen, die Kosten des Verfahrens von Fr. 2'000.-- wurden dem Staat auferlegt.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts B 2005/216

Kanton:SG
Fallnummer:B 2005/216
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid B 2005/216 vom 12.04.2006 (SG)
Datum:12.04.2006
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Steuerstrafrecht, Art. 2, Art. 71 lit. b und c sowie Art. 337 StGB (SR). Anwendung des strafrechtlichen Grundsatzes des milderen Rechts im Zusammenhang mit der Verjährung. Je-de Hinterziehungshandlung des Steuerpflichtigen, die zu ei-ner unvollständigen Veranlagung führt, stellte eine eigene Tat dar. Es liegen weder ein Dauerdelikt nach Art. 71 lit. c StGB noch eine natürliche oder tatbestandliche Handlungs-einheit im Sinne von Art. 71 lit. b StG vor. Gestützt auf Art. 2 bzw. Art. 337 StGB sind die einzelnen unvollständig veranlagten Steuerperioden auch hinsichtlich der Verjährung für sich zu betrachten (Verwaltungsgericht, B 2005/216).
Schlagwörter: Steuer; Recht; Verjährung; Recht; Steuerhinterziehung; Steuerjahr; Steuerjahre; Verwaltungsrekurskommission; Veranlagung; Grundsatz; Taten; Verhalten; Dauerdelikt; Beschwerdegegner; Entscheid; Gesetzbuch; Angeschuldigte; Handlungen; Einheit; Bundesgericht; Handlungseinheit; Verwaltungsgericht; Steueramt; Steuerstrafverfahren; Angeschuldigten; Auffassung; Verhandlung
Rechtsnorm: Art. 2 StGB ;Art. 337 StGB ;Art. 71 StGB ;
Referenz BGE:114 IV 3; 131 IV 87; 131 IV 89; 131 IV 93; 131 IV 95;
Kommentar:
Müller, Basler Kommentar zum Strafgesetzbuch, Art. 71 StGB, 2003

Entscheid des Verwaltungsgerichts B 2005/216

Steuerstrafrecht, Art. 2, Art. 71 lit. b und c sowie Art. 337 StGB (SR). Anwendung des strafrechtlichen Grundsatzes des milderen Rechts im Zusammenhang mit der Verjährung. Je-de Hinterziehungshandlung des Steuerpflichtigen, die zu einer unvollständigen Veranlagung führt, stellte eine eigene Tat dar. Es liegen weder ein Dauerdelikt nach Art. 71 lit. c StGB noch eine natürliche tatbestandliche Handlungseinheit im Sinne von Art. 71 lit. b StG vor. Gestützt auf Art. 2 bzw. Art. 337 StGB sind die einzelnen unvollständig veranlagten Steuerperioden auch hinsichtlich der Verjährung für sich zu betrachten (Verwaltungsgericht, B 2005/216).

Urteil vom 12. April 2006

Anwesend: Präsident Prof. Dr. U. Cavelti; Verwaltungsrichter Dr. E. Oesch-Frischkopf, lic. iur. A. Linder, Dr. B. Heer, lic. iur. A. Rufener; Gerichtsschreiberin Dr. R. Hirt

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In Sachen

Kantonales Steueramt, Davidstrasse 41, 9001 St. Gallen, Beschwerdeführer,

vertreten durch den Amtsleiter-Stellvertreter lic. iur. Hubert Hofmann,

gegen

Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, Abteilung I/1, Unterstrasse 28, 9001 St. Gallen, Vorinstanz,

und H.E.,

Beschwerdegegner,

betreffend

Steuerhinterziehung

hat das Verwaltungsgericht festgestellt:

  1. ./ H.E. (geboren 1921) ist in G. wohnhaft. Am 15. April 2004 deklarierte er für die Steuerperiode 2003 erstmals zwei Banksparkonti mit Guthaben per 31. Dezember 2003 von Fr. 34'198.-- bzw. Fr. 98'095.-- und Zinserträge im Jahr 2003 aus einem der beiden Konti von Fr. 200.75.

    Das kantonale Steueramt eröffnete am 1. Dezember 2004 ein Nachsteuerverfahren. Nachdem das kantonale Steueramt verschiedene Unterlagen einverlangt und erhalten hatte, teilte es H.E. mit Schreiben vom 25. Januar 2005 die Nachsteuerfaktoren für die Steuerjahre 1993 bis 2002 mit. Mit dem gleichen Schreiben wurde das Untersuchungsverfahren betreffend Steuerhinterziehung eingeleitet und als abgeschlossen erklärt. Es wurde eine Busse in der Höhe der halben Nachsteuer in Aussicht gestellt. Mit Strafbescheid vom 17. Februar 2005 wurde H.E. wegen Steuerhinterziehung mit Fr. 9'591.15 gebüsst, und es wurden ihm die Verfahrenskosten von Fr. 450.-- auferlegt. Mit Schreiben vom 25. Februar 2005 erhob H.E. gegen den Strafbescheid Einsprache. Am 3. März 2005 überwies das kantonale Steueramt die Strafsache der Verwaltungsrekurskommission zur gerichtlichen Beur-teilung.

  2. ./ Die Verwaltungsrekurskommission forderte die Anklagebehörde zunächst auf, zur Frage der Verjährung Stellung zu nehmen. In der Vernehmlassung vom 20. September 2005 erachtete die Anklagebehörde die Steuerhinterziehung für die Jahre 1993 und 1994 als verjährt und beantragte, die Busse sei dementsprechend auf Fr. 7'478.05 festzusetzen.

    Die Verwaltungsrekurskommission entschied in der Angelegenheit am 15. November 2005. H.E. wurde der fahrlässigen Steuerhinterziehung für die Steuerjahre 1999 bis 2002 schuldig befunden und mit einer Busse von Fr. 2'600.-- be-straft. Die amtlichen Kosten von Fr. 1'200.-- wurden H.E. zu einem Drittel und dem Staat zu zwei Dritteln auferlegt. Hinsichtlich der Frage der Verjährung erwog die Verwaltungsrekurskommission, dass die Anwendung des alten Rechts auf die Steuerjahre bis 1998 und die Anwendung des neuen Rechts auf die Steuerjahre ab

    1999 zur Folge habe, dass das Steuerstrafverfahren für die Steuerjahre bis 1998 in Anwendung der sechsjährigen Frist gemäss Art. 130 lit. b des bis zum 31. Dezember 1998 gültig gewesenen Steuergesetzes (nGS 29-70, abgekürzt StG-70) bis spätestens Ende 2004 hätte eingeleitet werden müssen. Somit erweise sich die Einleitung des Steuerstrafverfahrens am 25. Januar 2005 betreffend das Steuerjahr 1998 und die früheren Steuerjahre als verspätet. Hingegen seien die Steuerhinterziehungen, welche die unvollständigen Veranlagungen der Steuerjahre 1999 bis 2002 betreffen würden, angesichts der Zehnjahresfrist gemäss Art. 263 Abs. 1 lit. b des seit 1. Januar 1999 gelten-den Steuergesetzes (sGS 811.1, abgekürzt StG) nicht verjährt. Die Zehnjahresfrist des am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen neuen Rechts dürfe nicht herangezogen werden, um frühere Steuerjahre im Rahmen der Steuerstrafen zu verfolgen.

  3. ./ Gegen den Entscheid der Verwaltungsrekurskommission vom 15. November 2005 erhob das kantonale Steueramt am 15. Dezember 2005 Beschwerde beim Verwaltungsgericht. Es beantragt, der Entscheid der Verwaltungsrekurskommission vom 15. November 2005 sei aufzuheben und es sei gegenüber dem Angeschuldigten eine Busse von Fr. 4'100.-- wegen Steuerhinterziehung auszusprechen, unter Kostenfolgen zulasten des Angeschuldigten. Das Steueramt führt aus, der vorinstanzliche Entscheid werde lediglich im Punkt der Anwendung des Grundsatzes des milderen Rechts im Zusammenhang mit der Verjährung in Frage gestellt. Dabei vertritt es im wesentlichen die Auffassung, die Frage der Verjährung richte sich entsprechend dem Grundsatz der im Strafrecht geltenden lex mitior für sämtliche Steuerjahre, d.h. auch für jene nach dem Inkrafttreten des neuen Steuergesetzes am 1. Januar 1999, nach den Regeln des für den Angeschuldigten milderen früheren Rechts. Demnach sei die Einleitungsverjährung nach Art. 130 lit. b StG-70 für 2002 noch nicht eingetreten und nach Art. 121 StG-70 reiche die Strafbarkeit sechs Jahre zurück. Der Beginn der Verjährung ab dem Zeitpunkt des Ausserkrafttretens des alten Rechts nach der Auffassung der Verwaltungsrekurskommission stelle eine Bevorzugung des An- geschuldigten dar. Die Privilegierung bestehe gegenüber jenen Pflichtigen, die ausschliesslich vor dem 1. Januar 1999 Steuern hinterzogen hätten und im Maximum - aber immerhin - für sechs Jahre gebüsst worden seien, während der Ange-schuldigte nur für vier Jahre gebüsst werde. Würde man der Ansicht der Verwaltungsrekurskommission folgen, käme die Privilegierung des Angeschuldigten

    paradoxerweise durch den Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen und strengeren Rechts mit einer längeren Verjährungsfrist von zehn Jahren zustande. Dieses Vorgehen ähnle einer Amnestie und führe zu einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung.

    Die Verwaltungsrekurskommission beantragt in der Vernehmlassung vom 23. Januar 2006 die Abweisung der Beschwerde. H.E. hat sich nicht vernehmen lassen.

    Darüber wird in Erwägung gezogen:

    1. ./ a) Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ist gegeben (Art. 270 Abs. 1 StG; Art. 59 Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege, sGS 951.1, abgekürzt VRP). Der Beschwerdeführer ist zur Ergreifung des Rechtsmittels legitimiert (Art. 270 Abs. 1 StG). Die Eingaben vom 2. und 15. Dezember 2005 entsprechen zeitlich, formal und inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (Art. 270 StG in Verbindung mit Art. 161 StG sowie Art. 64 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 1 und 2 VRP). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

      b) Nach Art. 270 Abs. 2 StG gelten im Beschwerde-verfahren die Vorschriften über das Verfahren vor Verwaltungsrekurskommission sachgemäss. Zu prüfen ist daher, ob im Beschwerdeverfahren eine mündliche öffentliche Verhandlung durchzuführen ist (vgl. Art. 267 Abs. 1 Satz 1 StG).

      Im Strafprozess ist der Grundsatz der öffentlichen Verhandlung im Rechtsmittelverfahren eingeschränkt. Nach Art. 243 Abs. 2 des Strafprozessgesetzes (sGS 962.1) kann im Berufungsverfahren in verschiedenen Fällen von einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden, unter anderem im Einvernehmen mit den Parteien, wenn die Anwesenheit des An-geschuldigten für die Beurteilung nicht erforderlich ist (Art. 243 Abs. 2 lit. a StP).

      Da die Vorschriften des Verfahrens vor Verwaltungsrekurskommission im Beschwerdeverfahren nur sachgemäss an-zuwenden sind, rechtfertigt es sich in einer analogen Anwendung der strafprozessualen Bestimmungen im vorliegenden Fall, auf eine öffentliche und mündliche Verhandlung zu verzichten, da kein Begehren um öffentliche Verhandlung gestellt und auch im Einspracheverfahren auf die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung verzichtet wurde, sich der Beschwerdegegner nicht

      vernehmen liess und seine Anwesen-heit zur Beurteilung nicht notwendig ist (VerwGE vom 24. Januar 2006 i.S. E.E. zurzeit auf www.gerichte.sg.ch).

    2. ./ a) Wie eingangs ausgeführt, beanstandet der Beschwerdeführer am angefochtenen Entscheid einzig die un-richtige Anwendung des strafrechtlichen Grundsatzes des milderen Rechts im Zusammenhang mit der Verjährung.

      1. Art. 2 Abs. 1 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (SR 311.0, abgekürzt StGB) bestimmt, dass nach diesem Gesetz beurteilt wird, wer ein Verbrechen ein Vergehen verübt. Mithin ist es verboten, das Gesetz auf Taten anzuwenden, welche vor seinem Inkrafttreten begangen wurden, bzw. es muss nach dem Gesetz geurteilt werden, das bei der Begehung galt. Art. 2 Abs. 1 StGB verwirklicht das Rückwirkungsverbot und damit einen wesentlichen Aspekt des Legalitätsprinzips (P. Popp, in: Basler Kommentar zum Strafgesetzbuch, Basel 2003, N 1 zu Art. 2 StGB). Art. 2 Abs. 2 StGB regelt die Rechtsanwendung, wenn das Gesetz zwischen Tat und Urteil ändert, indem es vorschreibt, dass das für den Täter mildere Recht (lex mitior) anzuwenden ist.

        In Art. 337 StGB wird der Grundsatz der lex mitior für die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung konkretisiert. Dementsprechend gilt das neue Verjährungsrecht grundsätzlich nur für Taten nach Inkrafttreten des neuen Rechts. Das alte Verjährungsrecht gilt somit für die vor diesem Zeitpunkt begangenen Straftaten weiter, es sei denn, dass das neue Recht das mildere ist (BGE 131 IV 89 f.).

        Handelt der Täter zu verschiedenen Zeiten, so beginnt die Verjährung nach Art. 71 lit. b StGB mit dem Tage, an welchem die letzte tatbestandsmässige Tätigkeit ausgeführt wird. Dauert das strafbare Verhalten an bzw. liegt ein Dauerdelikt vor, beginnt die Verjährung gemäss Art. 71 lit. c StGB mit dem Tag, an dem dieses Verhalten aufhört.

        Art. 2 und Art. 71 lit. b und c StGB gelten als allgemeine Bestimmungen des Schweizerischen Strafgesetzbu-ches auch für das Strafrecht von Kanton und Gemeinden, so-weit die kantonale Gesetzgebung nichts anderes bestimmt (Art. 1 Abs. 1 des Übertretungsstrafgesetzes, sGS 921.1, abgekürzt UeStG). Dieser Grundsatz hat auch für Art. 337 StGB zu gelten, welcher, wie dargelegt, im wesentlichen ei-ne

        Konkretisierung der Regel von Art. 2 Abs. 2 StGB dar-stellt, obwohl er systematisch nicht zu den allgemeinen Bestimmungen des schweizerischen Strafgesetzbuches im Sinne von Art. 1 UeStG gehört. Bei der vollendeten fahrlässigen Steuerhinterziehung, wie sie dem Beschwerdegegner vorgeworfen wird, handelt es sich unbestrittenermassen um eine

        Übertretung des kantonalen Steuerstrafrechts (Weidmann/

        Grossmann/Zigerlig, Wegweiser durch das st. gallische Steuerrecht, 6. Aufl., Muri-Bern 1999, S. 433), weshalb die genannten Bestimmungen vorliegend Anwendung finden.

      2. Der Angeschuldigte wurde vom Beschwerdeführer wegen Steuerhinterziehung während den Steuerjahren 1993 bis 2002 gebüsst. Das Steuergesetz vom 9. April 1998 wird ab 1. Januar 1999 angewendet (Art. 319 StG). Es löst das Steuergesetz vom 23. Juni 1970 ab.

      3. Gemäss Art. 130 lit. b StG-70 erlischt das Recht, ein Steuerstrafverfahren einzuleiten, für Steuerhinterziehungen sechs Jahre nach Ablauf des letzten Steuerjahres, für das der Steuerpflichtige nicht unvollständig veranlagt wurde. Gemäss Art. 263 Abs. 1 lit. b StG verjährt die Strafverfolgung bei vollendeter Steuerhinterziehung zehn Jahre nach dem Ablauf der Steuerperiode, für die der Steuerpflichtige nicht unvollständig veranlagt wurde. Damit steht fest und ist im übrigen auch unwidersprochen, dass die altrechtliche Bestimmung für den Beschwerdegegner die mildere im Sinne von Art. 337 StGB ist.

      4. Im folgenden ist die Anwendbarkeit von Art. 71 lit. b und c StGB zu prüfen.

        aa) Eine "vollendete" Steuerhinterziehung liegt vor, wenn den Steuerbehörden steuerbare Tatbestände (Ein-kommen, Vermögen, Umsätze usw.) verheimlicht werden und diese Verheimlichung zur Folge hat, dass gemäss der definitiven rechtskräftigen Veranlagung zu wenig Steuern entrichtet werden (Höhn/Waldburger, Steuerrecht, Bd. 1, 9. Aufl., Bern 2001, § 38 Rz 9; vgl. Art. 248 Abs. 1 StG und Art. 126 Abs. 1 StG-70). Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung besteht darin, dass der Steuerpflichtige in Verletzung der Deklarationspflicht bewirkt, dass eine Veranlagung ausbleibt unrichtig erfolgt und dem Gemeinwesen daraus ein Steuerausfall

        entsteht. Erforderlich ist, dass zwischen dem Steuerausfall des Gemeinwesens und dem Verhalten des Steuerpflichtigen ein Kausalzusammenhang besteht. In der Regel wird das Delikt dadurch begangen, dass die Steuererklärung nicht nicht ordnungsgemäss ausgefüllt und innert Frist eingereicht wird (R. Sieber, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht I/1, 2. Aufl., Basel 2002, N 6a ff. zu Art. 56 StHG; M. Zweifel, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht I/1, 2. Aufl., Basel 2002, N 17 ff. zu Art. 42 StHG).

        Vor diesem Hintergrund erweist sich die Auffassung der Vorinstanz, wonach es sich bei der Steuerhinterziehung nicht um ein Dauerdelikt handelt, als zutreffend. Ein Dau- erdelikt liegt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nur vor, wenn die Begründung des rechtswidrigen Zustands mit den Handlungen, die zu seiner Aufrechterhaltung vorgenommen werden, bzw. mit der Unterlassung seiner Aufhebung eine Einheit bildet und das auf das Fortdauern des deliktischen Erfolgs gerichtete Verhalten vom betreffenden Straftatbestand ausdrücklich sinngemäss mitumfasst ist. Dauerdelikte sind mit anderen Worten dadurch gekennzeichnet, dass das zeitliche Fortdauern eines rechtswidrigen Zustandes Verhaltens noch tatbestandsmässiges Unrecht bildet (BGE 131 IV 87 mit weiteren Hinweisen; P. Müller, Basler Kommentar zum Strafgesetzbuch, Basel 2003, N 20 zu Art. 71). Wer eine Steuerhinterziehung begeht, begründet keinen rechtswidrigen Zustand, sondern führt einzig den Taterfolg herbei, der darin besteht, dass die gemäss rechtskräftiger Veranlagung zu erbringende Steuerleistung niedriger ist als jene, die bei ordnungsgemässer Versteuerung erbracht werden müsste. Dementsprechend liegt kein Dauerdelikt vor, und die Anwendbarkeit von Art. 71 lit. c StGB fällt ausser Betracht.

        bb) In seiner Rechtsprechung hat das Bundesgericht gestützt auf Art. 71 lit. b StGB auch mehrere strafbare Handlungen verjährungsrechtlich zu einer Einheit zusammen- gefasst, wenn sie gleichartig und gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet sind, ohne dass bereits ein Dauerdelikt im Sinne von Art. 71 lit. c StGB gegeben wäre. Unlängst hat es die Rechtsfigur der verjährungsrechtlichen Einheit indes aufgegeben. Das Bundesgericht erwog, es erscheine nicht länger gerechtfertigt, anhand des wenig klaren Kriteriums des an-dauernden pflichtwidrigen Verhaltens in gewissen Fällen mehrere Handlungen zu einer verjährungsrechtlichen Einheit zusammenzufassen, in anderen dagegen nicht. Gleichwohl führe die Aufgabe der Rechtsfigur der

        verjährungsrechtlichen Einheit aber nicht zu einem gänzlichen Verzicht, mehrere tatsächliche Handlungen in gewissen Fällen rechtlich als Einheit zu qualifizieren. Dabei sei einerseits an Fälle der tatbestandlichen Handlungseinheit zu denken, wo das tatbestandsmässige Verhalten schon begrifflich, faktisch doch typischerweise mehrere Einzelhandlungen voraussetze. Anderseits seien mehrere Einzelhandlungen rechtlich eben-falls als Einheit anzusehen, wenn sie auf einem einheitlichen Willensakt beruhten und wegen des engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs bei objektiver Betrachtung noch als ein einheitliches zusammengehörendes Geschehen erscheinen würden. Eine sogenannte natürliche Handlungseinheit falle allerdings ausser Betracht, wenn zwischen den einzelnen Handlungen - selbst wenn diese aufeinander bezogen sei-en - ein längerer Zeitraum liege (BGE 131 IV 93 f.).

        Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung erschöpft sich, wie vorstehend dargelegt, darin, dass der Steuerpflichtige in Verletzung der Deklarationspflicht be- wirkt, dass seine Veranlagung ausbleibt unrichtig er-folgt und dem Gemeinwesen dadurch ein Steuerausfall ent-steht. Dieses tatbestandsmässige Verhalten setzt weder be-grifflich noch faktisch mehrere Einzelhandlungen voraus. Somit fällt eine tatbestandliche Handlungseinheit ausser Betracht. Gleiches gilt indes auch für die natürliche Handlungseinheit, da bei einem Deklarationsrhythmus von einem bzw. zwei Jahren angesichts des langen Tatzeitraums eine Handlungseinheit zwischen den einzelnen Taten ausgeschlos-sen ist (vgl. L. Kneubühler, Die Vergehen nach bernischem Steuergesetz, in: BVR 1999 S. 252; vgl. BGE 131 IV 95). So-mit fällt auch die Anwendbarkeit von Art. 71 lit. b StGB ausser Betracht, und der Hinweis des Beschwerdeführers auf BGE 114 IV 3 ff. geht fehl – abgesehen davon, dass das Bundesgericht das Institut des fortgesetzten Delikts auch im Zusammenhang mit der Verjährung schon seit geraumer Zeit aufgegeben hat (P. Müller, a.a.O., N 16 zu Art. 71 StGB).

      5. Aus dem Gesagten folgt, dass jede Hinterziehungshandlung des Beschwerdegegners, die zu einer unvollständigen Veranlagung geführt hat, eine eigene Tat darstellt. Nachdem Art. 71 lit. b und c StGB nicht zur Anwendung kommen, sind die einzelnen unvollständig veranlagten Steuerperioden auch hinsichtlich der Verjährung für sich zu betrachten. Daran vermag entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch der Wortlaut von Art. 130 lit. b StG-70 nichts zu ändern. Zwar knüpft Art. 130 lit. b

        StG-70 für das Erlöschen des Rechts, ein Steuerstrafverfahren einzuleiten, an den Ablauf des letzten Steuerjahres an, für das der Pflichtige unvollständig überhaupt nicht veranlagt wurde. Indes ist eine Tat gemäss Art. 2 Abs. 1 StGB nach neuem Recht zu beurteilen, wenn sie verübt wurde, nachdem dieses in Kraft trat (P. Popp, in: Basler Kommentar zum Strafgesetzbuch, Basel 2003, N 6 zu Art. 2). Dabei ist neu-es Recht nicht nur massgeblich, soweit es die materiellen Voraussetzungen der Strafe betrifft, sondern auch in bezug auf die Verjährungsbestimmungen (St. Trechsel, Kurzkommentar zum Schweizerischen Strafgesetzbuch, 2. Aufl., Zürich 1997, N 1 zu Art. 337 StGB; R. Wiprächtiger, in: Basler Kommentar zum Strafgesetzbuch, Basel 2003, N 1 zu Art. 337 StBG mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung sowie die abweichende Meinung von Stratenwerth; BGE 131 IV 89). Dies bedeutet, dass die Auffassung des Beschwerdeführers fehl geht, wonach die lex mitior auf den ganzen Hinterziehungszeitraum bezogen zu prüfen sei. Bei der lex mitior ist nur zu prüfen, ob auf die unter dem alten Recht begangenen strafbaren Handlungen das neue Recht als milderes anzuwenden ist. Stehen gleichzeitig mehrere Taten zur Beurteilung, die teilweise unter altem, teilweise unter neuem Recht begangen wurden, ist eine getrennte Beurteilung vorzunehmen (Trechsel, a.a.O., N 5 zu Art. 2 StGB). Dies bedeutet, dass auf die Straftaten ab dem Jahr 1999 neues Verjährungsrecht anzuwenden ist. Fehl geht sodann die Auffassung des Beschwerdeführers, wonach das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung verlange, dass der ganze Sachverhalt entweder nach neuem nach altem Recht zu prüfen sei. Zwar fordert das Bundesgericht, dass das Recht bei Begehung und bei Beurteilung nicht abstrakt, sondern konkret verglichen, d.h. der Sachverhalt unter je die Gesamtheit der in den beiden Zeitpunkten geltenden Rechten gestellt wird. Indes bezieht sich diese Vorgabe immer nur auf den Sachverhalt, der sich vor Inkrafttreten des neuen Rechts ereignet hat. Auch der Hinweis, dass nicht beide Rechte partiell angewendet werden können, bezieht sich auf die Beurteilung von Tatbeständen, die sich unter altem Recht verwirklicht haben. In diesem Sinn ist es bspw. ausgeschlossen, auf einen Sachverhalt, der sich unter altem Recht verwirklicht hat, für die Strafbarkeit ein anderes Recht anzuwenden als für die Folge (vgl. BGE vom

        21. Mai 2002, 2A.293/2001 E. c aa; Popp, a.a.O., N 10 zu Art. 2 StGB mit weiteren Hinweisen). Hingegen ist die Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht so zu verstehen, dass die parallele Anwendung von neuem Verjährungsrecht auf Taten, die unter neuem Recht begangen wurden, und von altem Verjährungsrecht auf Taten, die

        unter altem Recht begangen wurden, ausgeschlossen wäre. Vielmehr verlangen Art. 2 bzw. Art. 337 StGB, soweit nicht eine spezialgesetzliche Übergangsnorm etwas anderes bestimmt, dass Taten, die unter neuem Recht begangen wurden, auch hin- sichtlich der Verjährung nach neuem Recht beurteilt werden, während für Taten, die unter altem Recht begangen wurden, das mildere der beiden Verjährungsrechte anzuwenden ist.

      6. Zusammenfassend ergibt sich, dass das letzte unvollständig veranlagte Steuerjahr nach altem Recht das Jahr 1998 war. Bei der Einleitung des Untersuchungsverfahrens am 25. Januar 2005 war das Recht gemäss Art. 130 lit. b StG-70, innert sechs Jahren nach Ablauf des letzten Steuerjahres ein Steuerstrafverfahren für die Steuerhinterziehung einzuleiten, verjährt. Dies bedeutet, dass die strafbaren Handlungen, die der Beschwerdegegner bis am 31. Dezember 1998 begangen hat, infolge Verjährung nicht mehr verfolgt werden können. Hingegen war im Zeitpunkt der Einleitung des Steuerstrafverfahrens am 25. Januar 2005 die Verjährung der Steuerhinterziehungen, die zu unvollständigen Veranlagungen der Steuerjahre 1999 bis 2002 führten, gemäss Art. 263 Abs. 1 lit. b StG noch nicht eingetreten. Die von der Anklagebehörde aufgezeigten Disparitäten sind, wie die Vorinstanz in der Vernehmlassung vom 23. Januar 2006 zutreffend ausführt, hinzunehmen und dürfen sich nicht zu Ungunsten des Angeschuldigten auswirken. Die vom Beschwerdeführer beanstandeten Auswirkungen sind Folgen des bundesrechtlichen Grundsatzes von Art. 2 bzw. Art. 337 StGB.

    3. ./ Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens dem Staat aufzuerlegen (Art. 95 Abs. 1 VRP). Eine Entscheidgebühr von Fr. 2'000.-- ist angemessen (Ziff. 382 Gerichtskostentarif, sGS 941.12). Auf die Erhebung ist zu verzichten (Art. 95 Abs. 3 VRP).

Ausseramtliche Entschädigungen sind nicht zuzusprechen (Art. 98 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 98bis VRP).

Demnach hat das Verwaltungsgericht zu Recht erkannt:

  1. ./ Die Beschwerde wird abgewiesen.

  2. ./ Die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 2'000.-- gehen zulasten des Staates. Auf die Erhe-bung wird verzichtet.

  3. ./ Ausseramtliche Kosten werden nicht entschädigt.

V. R. W.

Der Präsident:

Die Gerichtsschreiberin:

Zustellung dieses Entscheides an:

  • den Beschwerdeführer

  • die Vorinstanz

  • den Beschwerdegegner

am:

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Entscheid kann gestützt auf Art. 73 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuer der Kantone und Gemeinden (SR 642.12) innert dreissig Tagen seit der Eröffnung Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einge-reicht werden.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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